Seien wir ehrlich: Europa ist eine digitale Kolonie. Wir haben unseren Kontinent in einen Zustand der digitalen Leibeigenschaft manövriert, uns freiwillig in die goldenen Käfige von Amazon, Microsoft und Google begeben. Wir genießen den Komfort, streamen unsere Serien, bestellen unsere Bücher und lagern unsere intimsten Daten in Clouds, deren Epizentren tausende Kilometer entfernt an der US-Ostküste liegen. Und während wir uns in dieser Bequemlichkeit sonnen, merken wir nicht, wie uns die digitale Schlinge langsam zugezogen wird.
Die jüngsten Beben waren nicht subtil. Als vor Kurzem ein Amazon-Rechenzentrum namens „US-East-1“ für ein paar Stunden wackelte, stand nicht nur die Tech-Welt still. Banken, Regierungsdienste, tausende Unternehmen – ein großer Teil unseres digitalen Lebens wurde lahmgelegt. Ein falsch eingestellter digitaler „Wegweiser“ (DNS) reichte aus, um ein Chaos auszulösen. IT-Experten sagen nicht umsonst zynisch: „Wenn US-East-1 down ist, ist das halbe Internet down.“ Kurz darauf ein ähnliches Schauspiel bei Cloudflare: X, ChatGPT und unzählige andere Dienste verstummten.
Diese Vorfälle sind jedoch nur die technischen Symptome einer viel tieferen, politischen Krankheit. Sie sind die noch einigermaßen harmlosen Vorboten einer Katastrophe, deren wahres Gesicht sich bereits zeigt.
Die digitale Guillotine: Ein Richter wird ausgelöscht
Fragen Sie den französischen Richter Nicolas Guillou. Sein Fall ist kein dystopischer Roman, sondern die bittere Realität europäischer Machtlosigkeit im 21. Jahrhundert. Weil Guillou am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag seinen Job machte und Haftbefehle gegen hochrangige Politiker genehmigte, wurde er von der US-Regierung auf eine Sanktionsliste gesetzt.
Das Ergebnis? Eine „digitale Auslöschung“. Von einem Tag auf den anderen wurden seine Konten bei Amazon, PayPal und Airbnb geschlossen. Eine Hotelbuchung über Expedia wurde storniert. Er besitzt keine funktionierende Kreditkarte mehr, weil Visa, Mastercard und American Express ihm den Dienst verweigern. Europäische Banken weisen ihn als Kunden ab, aus Angst vor Strafmassnahmen der USA. Ein europäischer Bürger wird auf europäischem Boden für seine Arbeit bei einer von der EU unterstützten Institution wirtschaftlich und sozial exekutiert – durch den Befehl einer ausländischen Macht, umgesetzt von US-Konzernen, denen wir unsere Infrastruktur anvertraut haben.
Dieser Fall ist die Blaupause für das, was jedem von uns drohen kann. Es geht nicht mehr um technische Ausfälle. Es geht um die willkürliche Macht, Einzelpersonen oder ganze Organisationen per Knopfdruck aus der modernen Gesellschaft zu verbannen. Unsere Abhängigkeit ist keine Schwäche mehr, sie ist eine Waffe, die gegen uns gerichtet werden kann.
Der wahre Preis: Wir verlieren die Kontrolle über die Zukunft – die KI
Wer glaubt, diese Abhängigkeit sei nur ein Problem für Richter oder Großkonzerne, ist brandgefährlich naiv. Die eigentliche Gefahr lauert in der Technologie, die unsere Zukunft, wenn man den Techkonzernen glauben darf, mit definieren wird: Künstliche Intelligenz.
Der Ausfall von ChatGPT während der Cloudflare-Störung war ein kleiner Vorgeschmack. Die Entwicklung und der Betrieb von leistungsfähiger KI erfordern gigantische Rechenleistung. Und wo liegt diese Leistung heute? In den Händen von Nvidia, OpenAI, Microsoft Azure, AWS und Google Cloud. Europa baut seine KI-Zukunft gewissermaßen auf gemietetem Grund. Einem Grund, dessen Besitzer jederzeit die Regeln ändern, die Miete unbezahlbar machen oder uns fristlos kündigen kann.
Was passiert, wenn eine zukünftige US-Administration entscheidet, dass europäische KI-Forschung in der Automobilindustrie oder Medizintechnik eine Bedrohung für amerikanische Interessen darstellt? Was, wenn sie beschließt, unsere vielversprechendsten KI-Start-ups einfach vom Zugang zu den notwendigen Cloud-Diensten abzuschneiden? Dann ist es vorbei. Wir verlieren den Wettlauf um die nächste industrielle Revolution, bevor er überhaupt richtig begonnen hat – nicht, weil uns die Ideen fehlen, sondern weil uns der Stecker gezogen wird.
Aufwachen aus dem amerikanischen Traum!
Ja, es gibt zaghafte Gegenbewegungen. Initiativen wie „Euro Stack“ oder die kürzlich verabschiedete „Declaration on European Digital Sovereignty“, welche übrigens von Österreich initiiert wurde, klingen gut auf dem Papier. Man verspricht, die Abhängigkeit zu verringern, und wirft mit ein paar Milliarden Euro um sich. Aber das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist der Versuch, einen Flächenbrand mit einer Wasserpistole zu löschen.
Wir brauchen keine weiteren Deklarationen. Wir brauchen einen radikalen Wandel im Denken. Wir müssen die unbequeme Wahrheit akzeptieren: Digitale Souveränität ist kein Luxus, sondern eine Überlebensfrage. Es ist an der Zeit für einen europäischen „Digital-Moonshot“. Wir müssen massiv in eigene, unabhängige Infrastrukturen investieren – von Rechenzentren über Cloud-Plattformen bis hin zu den Netzwerken, die sie verbinden.
Der Kampf David gegen „Cloudliath“ wird teuer und mühsam. Aber die Alternative ist die endgültige Unterwerfung unter eine Ordnung, in der unsere wirtschaftliche und politische Freiheit von den Launen Washingtons und den Algorithmen des Silicon Valley abhängt. Die Zeit der naiven Bequemlichkeit ist vorbei. Entweder wir erobern unsere digitale Souveränität zurück, oder wir akzeptieren unser Schicksal als abhängige digitale Provinz.
Auch wir haben bei den jüngsten Entscheidungen in Bezug auf unsere IT-Erneuerung diese Umstände bereits in unsere Entscheidungsfindung einbezogen und empfehlen es auch anderen, diese Thematik zu berücksichtigen – auch wenn es manchmal nicht der bequemste Weg sein wird.