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Versicherungsfalltheorien am Beispiel einer „IT-Haftpflichtversicherung“

Ein Gastbeitrag der HOFMANN-CREDNER Rechtsanwalts GmbH

Die plötzlich gesteigerte Nachfrage nach digitalisiertem Arbeiten bzw. einem höchst flexiblen, sicheren Arbeitsumfeld (sog. work from home) hat IT-Dienstleistern mitunter (über)volle Auftragsbücher beschert. Neue Großaufträge, die abzuarbeiten waren oder sind, und die das Haftungsrisiko des Unternehmens womöglich ansteigen haben lassen. Daher kommt in der IT-Haftpflichtversicherung dem Deckungsumfang und der Vorfrage, wann überhaupt ein Versicherungsfall vorliegt, aktuell besondere Bedeutung zu. Letzteres wird bei flüchtiger Beurteilung nicht sofort klar und bedarf einer näheren Untersuchung. Hier lohnt es sich einen Blick drauf zu werfen.

In der OGH-Rechtsprechung findet sich der Hinweis, dass § 149 Versicherungsvertragsgesetz (VersVG) den Versicherer bei der Haftpflichtversicherung verpflichtet dem Versicherungsnehmer jene Leistung zu ersetzen, die dieser aufgrund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit eintretende Tatsache an einen Dritten zu bewirken hat, aber der Versicherungsfall im Gesetz nicht definiert, sondern die Festlegung des Begriffs des Versicherungsfalls im Einzelnen dem Vertragsrecht ‑ also dem Versicherer durch Wahl einer entsprechenden Definition in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) ‑ überlassen ist.[1] In diesem Zusammenhang sind die nachstehend aufgeführten Definitionen und die diesen zugrundeliegenden Theorien in österreichischem Recht unterliegenden Haftpflichtversicherungsverhältnissen typischerweise anzutreffen:

Verstoßtheorie

Danach soll der Versicherungsnehmer vor jenen Folgen geschützt sein, die sich erst nach Ende des Vertrages ereignen, wobei der größte Nachteil darin gesehen wird, dass insbesondere bei lange zurückliegenden Haftungsgründen eine sichere zeitliche Einordnung des Versicherungsfalles kaum mehr möglich ist.[2] Eine entsprechende Definition enthält zB Art 1

AVBV,[3] wonach Versicherungsschutz für den Fall besteht, dass der Versicherungsnehmer wegen eines bei der Ausübung der in der Polizze angegebenen beruflichen Tätigkeit von ihm selbst oder einer Person, für die er nach dem Gesetze einzutreten hat, begangenen Verstoßes von einem Dritten aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhaltes für einen Vermögensschaden verantwortlich gemacht wird.

Anwendungsfälle für die AVBV sind Berufshaftpflichtversicherungen für Freiberufler bzw Selbständige, die im Falle eines Berufsversehens echte Vermögensschäden (in der Regel also nicht Personen- oder Sachschäden) auslösen. Das betrifft typischerweise beratende oder prüfende Berufe wie zB Wirtschaftstreuhänder oder Rechtsanwälte, während sich für IT-Unternehmen mit mehreren Mitarbeitenden wohl eine Betriebshaftpflichtversicherung empfehlen dürfte.

Ereignistheorie und Manifestation

In der Betriebshaftpflichtversicherung, jedenfalls dann, wenn ihr die AHVB und EHVB zugrunde liegen, ist der Versicherungsfall grundsätzlich als Schadenereignis, das dem versicherten Risiko entspringt und woraus dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen erwachsen oder erwachsen könnten, definiert.[4]

Gemäß OGH besteht der Unterschied darin, dass Verstoß das Kausalereignis, also das haftungsrelevante Verhalten des Versicherungsnehmers, das den Schaden verursacht hat, ist, Schadensereignis dagegen der „äußere Vorgang“, der die Schädigung des Dritten und damit die Haftpflicht des Versicherungsnehmers unmittelbar herbeiführt. Schadensereignis ist also das Folgeereignis, das mit dem Eintritt des realen Verletzungszustandes gleichgesetzt wird.[5] Das „Ereignis“ ist aber auch nicht mit dem Eintritt des Schadens gleichzusetzen, sondern diesem vorgelagert.[6] Kommt es aber darauf an, wann der Schaden offenkundig wird bzw sich zeigte, wird dies als Manifestation bezeichnet.[7]

Anspruchserhebung (claims-made)

Ergänzend dazu hat sich in Österreich in den letzten Jahren das dem anglo-amerikanischen Rechtsbereich entstammende Claims-Made-Prinzip (Anspruchserhebungsprinzip) ebenfalls als Versicherungsfalldefinition etabliert. Gemäß einer veröffentlichten OGH Entscheidung war „Haftpflicht-Versicherungsfall“ in den dort zur Anwendung gelangenden AVB, dass der Versicherte wegen einer Pflichtverletzung in Ausübung einer Tätigkeit als versicherte Person (Pflichtverletzung) für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz erstmals schriftlich in Anspruch genommen wird, so dass der Versicherungsfall (erst) mit der schriftlichen Anspruchserhebung eintrat.[8]

Dieser Überblick soll aufzeigen, wie wichtig es vor Vertragsabschluss auch für den Makler ist, auf die Versicherungsfalldefinition in den konkreten AVB bei der Beratung von IT-Unternehmen nicht nur einen flüchtigen Blick zu werfen, und damit spannt sich auch der Bogen zum Ausgangspunkt dieses Beitrags.

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[1] OGH 27. 08. 2008, 7 Ob 62/08f mN.
[2] Reisinger in Fenyves/Perner/Riedler (Hrsg), VersVG (2020) § 149 Rz 12 und mit Verweis auf Fenyves, JBl 2002, 205 ff.
[3] Allgemeine Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden (AVBV).
[4] Siehe zB „Allgemeine und Ergänzende Allgemeine Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB 2005 und EHVB 2005)“ in der Version 2012 als unverbindliche Musterbedingungen des Versicherungsverband Österreich (VVO).
[5] RIS-Justiz RS0081307.
[6] Reisinger in Fenyves/Perner/Riedler (Hrsg), VersVG (2020) § 149 Rz 13 mit Verweis auf Fenyves, JBl 2002, 205 ff.
[7] Reisinger in Fenyves/Perner/Riedler (Hrsg), VersVG (2020) § 149 Rz 13.
[8] OGH 19. 11. 2015, 7 Ob 137/15w.

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